Denisova. Die Entdeckung einer neuen Menschenart
François Savatier ist Journalist und arbeitet für das Magazin POUR LA SCIENCE. Dort ist er für den Themenbereich der Prähistorie zuständig. Die Paläoanthropologin Silvana Condemi ist Forschungsdirektorin am Centre national de la recherche scientifique in Marseille/Frankreich. Gemeinsam schrieben sie das Buch »Der Neandertaler, unser Bruder«. Fotos: Pauline Alioua Flammarion, Ingrid Leroi
Der Fund in der Höhle
Silvana Condemi und François Savatier schildern die Entdeckung und Analyse einer neuen Menschenart im Jahr 2010 und die rasanten Fortschritte der Paläoanthropologie bis in die Gegenwart.
Region Altai, Republik Altai, südliches Sibirien, Russland. Dort wurde Ende 2010 in der Denisova-Höhle etwas gefunden, was die Erdbevölkerung um eine bis dato unbekannte Gattung Homo erweiterte. Es waren ein kleines Knochenfragment eines Fingers und zwei Backenzähne. Auf Grund von DNA-Analysen, durchgeführt am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig/Deutschland, wurde festgestellt: Es handelt sich um einen wiederentdeckten Cousin des Homo sapiens. Der Denisova-Mensch, der auf das Mittelpaläolithikum datiert wird und somit 52.000 bis 76.000 Jahre alt ist, kann als Pendant zu den Neandertalern gelten. Nun stellten sich Fragen wie: Woher stammten die Denisovaner? Wie lange lebten sie in den Gebieten Eurasiens? Wie weit erstreckten sich die Wanderungen der Population? Denn in Tibet wurde ein weiterer Denisova-Fund gemacht, ein Unterkiefer, der rund 160.000 Jahre alt ist.
Silvana Condemi und François Savatier erzählen auf plastische Art und Weise, wie diese neue Menschenart gefunden und seither analysiert und identifiziert worden ist. Es ist somit nicht nur Paläo-Wissenschaftsgeschichte, sondern auch die Schilderung, welch große, ja riesenhafte Entwicklungsschritte in den letzten vierzehn Jahren Archäologie und Anthropologie gemacht haben, so dass es inzwischen möglich ist, aus winzigen Fundstücken eine ganze Spezies zu rekonstruieren, uralte DNA zu sequenzieren – mittlerweile sind Forscher/innen sogar in der Lage, aus organischen Bestandteilen der Sedimentschichten in Höhlen DNA zu destillieren und zu untersuchen –, Stammbäume der Menschheit zu rekonstruieren und ein immer facettenreicheres Bild der Menschwerdung in der Urgeschichte zu zeichnen. Und zur selben Zeit den Nachweis zu führen, dass in Asien die DNA der dort lebenden Menschen bis heute einen maximal fünfprozentigen Anteil an Denisova-Genen aufweist. Condemi und Savatier schildern auch kundig die Menschheitsentwicklung: wie Hominiden in vier günstigen Phasen der Eiszeit von Afrika aus sich nach Europa und nach Asien aufmachten.
Condemi, Silvana | Savatier, François
C.H.Beck