Müll. Eine schmutzige Geschichte der Menschheit

Roman Köster (48) ist habilitierter Historiker und nach Lehraufträgen in Frankfurt am Main, Glasgow, an der Universität der Bundeswehr München und in Freiburg i. Br. seit 2020 Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München. (Foto: Laura Trumpp)

Im Mistkübel der Geschichte

Der deutsche Historiker Roman Köster, ausgewiesener »Garbologe«, zeichnet das jahrtausendealte Verhältnis von Müll und Menschheit nach – inklusive Sitten-, Schmutz-, Hygiene- und Recyclingpolitiken.

»Mensch und Müll – sie führen eine lange und intime Beziehung.« So setzt Roman Kösters ausgreifende Geschichte des Mülls ein. Köster wurde 2015 über »Hausmüll. Abfall und Gesellschaft in Westdeutschland 1945-1990« habilitiert. Damals setzte er sich mit dem jähen Ansteigen des »Abfallstroms« im Wirtschaftswunder-Nachkriegsdeutschland auseinander, mit sich wandelnder Materialität und damit gänzlich neuer Probleme, denen sich die Abfallwirtschaft zusehends gegenübersah. Denn Müll ist staunenswert vielseitig und breit gefächert. Es ist nicht nur die »schmutzige Geschichte der Menschheit«, sondern es sagt zugleich sehr viel aus – und das führt Köster lebendig vor Augen – über Menschen in den letzten 2000 bis 3000 Jahren. Menschen haben immer Müll produziert und damit Zeugnisse und Spuren hinterlassen. Zeugnisse und Spuren, die von der Frühgeschichte bis heute Entwicklungen und Gewohnheiten der Lebensführung, der Ernährung, des Luxus oder des Mangels vor Augen führen. Ebenso, was gefährlich war, störend, als funktionslos eingestuft wurde. So ist »Garbologie«, die Lehre vom Müll, eine umfassend komplexe Multifunktionsgeschichtserzählung, die von Krankheiten und wandelnder Wahrnehmung von Hygiene, Schmutz und Sauberkeit ebenso handelt wie von Konsumgewohnheiten, die Praktiken des Weiter- wie Wiederverwendens müllarchäologisch ebenso belegt wie globale und globalisierte Wertschöpfungsketten. Köster beginnt in der Frühgeschichte, handelt die Antike ab, das Mittelalter, die Frühe Neuzeit, das Zeitalter der Industrialisierung wie der Gegenwart. Wie aktuell und soziopolitisch akut das Thema ist, zeigt etwa der Einfuhrstopp für deutschen Plastikmüll, den die Volksrepublik China Anfang 2023 verfügte, was die zentraleuropäische Recyclingindustrie nachhaltig ins Stottern brachte. Müll als ökonomischer Faktor – auch das bietet diese instruktive, den gesamten Globus ähnlich den Müllströmen umspannende Welt-Technik-Verbrauchs-Sozial-Mentalitätsgeschichte. So bietet Köster auch Einblicke »in eine Welt, die von der Konsumgeschichte oft genug außen vor gelassen wird und deren Mechanismen vielleicht weniger in Westeuropa, aber an zahllosen Orten der Welt nach wie vor eine große Rolle spielen.« (Abbildung: Sammlung Erhard, Umweltbundesamt Dessau)

Müll. Eine schmutzige Geschichte der Menschheit

Köster, Roman
C.H.Beck