Die Wittgensteins. Geschichte einer unglaublich reichen Familie

Peter Eigner (62) ist außerordentlicher Professor am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Ökonomie der Habsburgermonarchie und der Republik Österreich. Viele Veröffentlichungen, zuletzt (mit Andreas Weigl, Hg.): »Sozialgeschichte Wiens 1740-2020«. (Foto: Nadine Vietze)

Verfall einer Familie

Peter Eigners imposantes, detailreiches Porträt der Wittgensteins ist zugleich eine Wirtschaftsgeschichte Österreichs der letzten 200 Jahre wie Spiegel untergegangener Zeiten.

Ein Klimt-Gemälde, das heute in München hängt. Ein modernistischer Bau im 3. Wiener Gemeindebezirk. Eine Werkausgabe philosophischer Schriften. Ist das alles, was von der »unglaublich reichen« Familie Wittgenstein blieb? Vieles andere ist untergegangen, wurde abgerissen wie das Palais in der Alleegasse (heute Argentiniergasse 16). Vielleicht bündelt wie kaum ein anderer Satz das Schicksal dieser Dynastie ein Gedanke Hermine Wittgensteins aus dem Jahr 1938: »Kein Stein wird auf dem andern bleiben.« Peter Eigner erzählt detailreich die Geschichte dieser Familie. Es ist eine so imposante, vielgestaltige wie nachdrücklich tragische Historie, der der Molden Verlag ein schönes Buchkleid schneiderte. Die Zahl an Abbildungen ist opulent wie visuell eindrucksvoll ausgewählt. Stammvater war Herz Meyer (1802–1878). Im Zug der napoleonischen Kriege waren Juden gezwungen, sich »Familiennamen« zu geben. Da sein Vater Moses für die Sayn-Wittgensteins tätig war, optierte er für »Wittgenstein«, konvertierte später zum Protestantismus und hieß fortan Hermann Christian. Ökonomisch sehr erfolgreich, heiratete er eine Wiener Jüdin aus der reichen Familie Figdor, die so wie er auch zum Christentum übertrat. Die eigentliche dominante Figur dann war Karl (1847–1913), sechstes von elf Kindern, der nach kurzen Wanderjahren ab den 1870-er Jahren eine eminente wie einflussreiche Rolle als Kapitalist, Fabrikunternehmer, Mitglied der wichtigen großen Kartelle der franko-josephinischen Zeit spielte. Die dritte Generation der schwerreichen, hochmusischen Familie war desinteressiert an Wirtschaft, was zu Konflikten mit dem gefühlskalten Vater führte, zu Suiziden, unglücklichen Ehen, Schicksalsschlägen. Paul, 1914 schwer verwundet, wurde ein bekannter einarmiger Pianist, der Jüngste, der eigenbrötlerische Ludwig, ein erst nach seinem Tod 1951 global bekannter Philosoph. Ab 1938 wurde die Familie von ideologischem Rassenhass eingeholt und büßte den Großteil ihres Vermögens ein. Diese abwechslungsreiche, multidimensionale Geschichte über Aufstieg, Blüte und Verblassen einer Familie ist zugleich eine instruktive Wirtschaftsgeschichte Österreichs zwischen dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts und 1950. (Abbildung Palais Wittgenstein: Wikimedia Commons)

Die Wittgensteins. Geschichte einer unglaublich reichen Familie


Eigner, Peter
Molden