Wie Gefühle entstehen. Eine neue Sicht auf unsere Emotionen

Lisa Feldman Barrett ist Ordinaria für Psychologie an der Northeastern University in Boston zudem an der Harvard Medical School tätig sowie am Massachusetts General Hospital, an dem sie Chief Science Officer for the Center for Law, Brain & Behavior ist. 2021 ausgezeichnet mit dem APA Distinguished Scientific Contribution Award in Psychology. (Foto: Mark Karlsberg, Studio Eleven)

Die Architektur der Empfindungen

Die Psychologin Lisa Feldman Barrett präsentiert eine ausgreifende, wohldurchdachte wie aufregende Revision von Gefühlen. Sie sind eigentlich Emotionskonstruktionen, die vom Einzelnen zu beeinflussen sind.

Es passiert selten, dass der/die Autor/in eines Fachlehrbandes nach der Lektüre eines Buchs öffentlich verkündet, fürderhin bei anstehenden Auflagen seines/ihres viel benutzten Lehrbuchs, es zu revidieren – in diesem Fall Stella Collins, Verfasserin des Standardwerks »Neuroscience for Learning and Development«. Das Buch, das dieses Echo bewirkte, war Lisa Feldman Barretts »Wie Gefühle entstehen«. Die US-amerikanische Psychologin konterkariert gängige, tradierte Vorstellungen über Emotionen und deren Grundlagen. Gefühle seien vorgegeben, man reagiere geradezu automatisch auf Anlässe, Auslöser, Trigger. Gefühle würden einfach so passieren, Wut, Angst, Freude, Ekel, alles evolutionär im Menschen verankert und daher allgemein gleich zu erleben wie zu aktivieren. Dem widerspricht Lisa Feldman Barrett: »Emotionen sind nicht das, was wir üblicherweise über sie denken.« Die renommierte Psychologieprofessorin kann nicht nur wissenschaftlich-theoretische Expertise vorweisen, sie arbeitet auch klinisch und eng mit medizinischen Einrichtungen zusammen. Darauf baut ihr umfangreiches Werk auf. Ihre vielfach durch ausgreifende Beispiele und Studienreihen schlüssig untermauerte These lauert: Emotionen entstehen nicht in geschlossenen Gehirn-Schaltkreisen. Vielmehr handelt es sich bei ihnen um Konstruktionen. So sei der Mensch Architekt seiner eigenen Erfahrungen. Denn bei Gefühlen spielt das Milieu eine Rolle, die Umwelt, zudem die Vergangenheit, Erfahrungen und Erlebnisse. Diese »Theorie der konstruierten Emotionen« hat nicht zu unterschätzende Folgen für das Individuum, das langfristig daran arbeiten kann, emotionale Konzepte, die Gefühlen zu Grunde liegen, zu beeinflussen, zu modulieren, also autonomer und selbstbestimmter zu werden. Denken und Fühlen – laut Feldman Barrett eine Gefühlskonstruktion aus Basisbausteinen, die zudem von Kulturkreis zu Kulturkreis unterschiedlich sind, je nach Umwelteinflüssen. Konsequenzen hat dies somit für das Selbstbild wie für das Selbstverständnis des Einzelnen. Folgen hat dies aber auch beim sozial oft emotionalen Miteinander, in der Gesamtgesellschaft, so etwa im juridischen Bereich: »Solange das Recht emotionale Stereotype in Gesetzesform gießt, werden die Menschen immer Opfer in sich unschlüssiger Urteile werden.« (Illustration: Aron Scott)

Wie Gefühle entstehen. Eine neue Sicht auf unsere Emotionen

Feldman Barrett, Lisa
Rowohlt