Als die Dummheit die Forschung erschlug. Die schwierige Erfolgsgeschichte der österreichischen Medizin

Daniela Angetter-Pfeiffer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Sie gehört der Arbeitsgruppe Geschichte der Medizin der Kommission für Geschichte und Philosophie der Wissenschaften der ÖAW an. (Foto: Maren Jeleff Photography)

Halbgötter in weiß ohne Gläubige

Die Wiener Wissenschaftshistorikerin Daniela Angetter-Pfeiffer legt eine instruktive und erhellende Geschichte der Wissenschaftsignoranz und Fortschrittsfeindlichkeit vor.

Innovation hat die österreichische Medizin ins internationale Spitzenfeld gebracht, und das seit zwei, drei Jahrhunderten. So tauchen in Daniela Angetter-Pfeiffers Monografie »Als die Dummheit die Forschung erschlug« bekannte bis sehr bekannte Namen auf, von Sigmund Freud über Alfred Adler zu Theodor Billroth oder Julius Wagner-Jauregg. Wer aber ist mit Otto Mayrhofer-Krammel vertraut, dem »Vater« der österreichischen Anästhesiologie und Intensivmediziner, einem der Vorreiter der Narkosemedizin? Oder mit Guido Holzknecht, der sein Leben lang um die Anerkennung der Radiologie kämpfte und dafür sogar infolge Verstrahlung mit dem eignen Leben bezahlte? Etwas, was heute selbstverständliches Prozedere ist – und oft genug Zentrum von Kriminalfilmen wie -romanen – ist die Anerkennung der Obduktion als diagnostisches Vehikel. Carl von Rokitansky setzte sich im 19. Jahrhundert zusammen mit Joseph Ritter von Škoda maßgeblich dafür ein, dass Autopsien die Basis klinischer Forschung bilden sollten. Anhand vieler Obduktionen erkannte man, wie sich Organe im Inneren des Körpers verändern und lernte so, richtige Diagnosen zu stellen – auch einer der Meilensteine der österreichischen Medizinhistorie. So mancher Vorläufer, unverstanden von seiner eigenen Zeit, scheiterte, etwa der Wiener Gynäkologe Lukas Boër, der ein früher Geburtshelfer war und im 18. Jahrhundert die sanfte Geburt verfocht, als viele seiner Kollegen als »Zangengötter« bezeichnet wurden. Die Kulturwissenschafterin Daniela Angetter-Pfeiffer, deren Darstellung »Pandemie sei Dank! Was Seuchen in Österreich bewegten« als Wissenschaftsbuch des Jahres 2022 ausgezeichnet wurde, blättert mit leichter Hand und auf der Grundlage ausgreifender ausgiebiger Recherchen in vielen Archiven, Tageszeitungen und medizinischen Fachzeitschriften das Album der Fortschrittsverweigerung und der Borniertheit auf, des Neids und der Missgunst, hie und da auch ab Mitte des den Nationalismus erfindenden 19. Jahrhunderts des Antisemitismus und später auch ideologisch motivierter Ignoranz und des Hasses auf. Etwaige Parallelen zur Gegenwart und zu aktueller Sozialmedizin und Medizinpolitik sind alles andere als zufällig – sie liegen auf der Hand. (Abbildung: Wikimedia Commons)

Als die Dummheit die Forschung erschlug. Die schwierige Erfolgsgeschichte der österreichischen Medizin


Angetter-Pfeiffer, Daniela
Amalthea